Physiotherapie-Reha nach COVID-19

COVID-19 – Anfang und Nachwirkungen

Zu Beginn des Jahres 2020 sahen wir uns einem neuen SARS-Virus, dem SARS-CoV-2, auch bekannt als COVID-19 oder als Corona-Virus, gegenüber. Wir wussten nur wenig darüber, welche Auswirkungen das Virus auf Patienten, unsere Gesundheitssysteme und unsere Gesellschaften im Allgemeinen haben würde. Das Virus hat sich schnell verbreitet und innerhalb kurzer Zeit wurde die Corona-Viruserkrankung zu einer Pandemie. Zu Beginn lag der Schwerpunkt auf der Behandlung hospitalisierter, akuter und schwerkranker Patienten. Nun, wo die erste Welle der Akutfälle von COVID-19-Patienten / abgeklungen ist, müssen wir uns mit ihren Nachwirkungen beschäftigen.

Wir stellen fest, dass Patienten, die sich erfolgreich von der Erkrankung erholt haben, nun an kurz- und langfristigen Auswirkungen leiden, die von der Erkrankung verursacht sind. Die Behandlung dieser Auswirkungen erfordert große Anstrengungen und führt zu einem erhöhten Rehabilitationsbedarf. Die Physiotherapeuten haben jetzt eine wichtige Rolle bezüglich der Bereitstellung dieser Reha-Leistungen.

 

Welche Auswirkungen treten am häufigsten bei Patienten auf, die sich von der Krankheit erholt haben?

Auch wenn die sozialen Medien von Berichten über Menschen, die unter Nachwirkungen wie Erschöpfung, Muskelschwäche, Dispnoe und eingeschränkter Lebensqualität leiden, überflutet werden, sind bislang noch nicht viele Belege hierfür veröffentlicht worden. Es gibt eine von Fachleuten überprüfte Studie aus Rom, die von Ergebnissen bezüglich langfristiger Symptome der COVID-19-Infektion berichten.¹ 143 Patienten, die in die Studie einbezogen wurden, wurden durchschnittlich 60,3 (SD, 13,6) Tage nach Auftreten der ersten COVID-19-Symptome ausgewertet; zum Zeitpunkt der Untersuchung waren nur 18 Patienten (12,6 %) völlig frei von Symptomen im Zusammenhang mit COVID-19, während 32 % 1 bis 2 Symptome aufwiesen und bei 55 % 3 oder mehr Symptome festzustellen waren. Keiner der Patienten hatte Fieber oder irgendwelche Anzeichen oder Symptome einer akuten Erkrankung. Bei 44,1 % der Patienten wurde eine verschlechterte Lebensqualität festgestellt. Ein großer Teil der Personen berichtete immer noch von Erschöpfung (53,1 %), Dispnoe (43,4 %), Gelenkschmerzen (27,3 %) und Brustschmerzen (21,7 %).

 

Die Rolle des Physiotherapeuten bei der Rehabilitation von Post-COVID-19-Patienten – Stellungnahme der KNGV (Königlich Niederländische Gesellschaft für Physiotherapie)

In der Stellungnahme der Königlich Niederländischen Gesellschaft für Physiotherapie bezüglich der Empfehlungen für Post-COVID-19-Patienten heißt es:

„Physiotherapeuten können bei der Rehabilitation von COVID-19-Patienten, die Einschränkungen ihrer täglichen körperlichen Funktionen aufweisen, eine wichtige Rolle spielen.“

Die Stellungnahme, die erstmalig im Mai 2020 veröffentlicht wurde, befindet sich auf der WCPT-Website und ist Teil der Informationsmittel für den World PT Day 2020.² ³

 

Erste sechs Wochen nach Entlassung aus dem Krankenhaus / oder nach COVID-19-Symptomfreiheit ohne Krankenhausaufenthalt 

Zuweisung von Post-COVID-19-Patienten  

Aus dem Krankenhaus entlassene Patienten erhalten häufig die Empfehlung, ihre Aktivitäten im Alltag allmählich zu steigern, und bestimmte Körperübungen, Zuhause durchzuführen.   Der Stellungnahme zufolge erhalten Krankenhauspatienten, die bei der Entlassung an einen Physiotherapeuten überwiesen werden, Überweisungsinformationen vom Krankenhaus. In einigen Fällen wird der Patient etwa 2 Wochen nach der Entlassung kontaktiert und gegebenenfalls nach Beurteilung der täglichen Funktionsfähigkeit überwiesen. Patienten, die nicht im Krankenhaus behandelt wurden, werden hauptsächlich von ihrem Hausarzt an einen Physiotherapeuten überwiesen.  

 

Beurteilung von Post-COVID-19-Patienten durch den Physiotherapeuten – erste Konsultation

Die Empfehlungen sehen vor, dass die Patienten innerhalb der ersten 2 Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bzw. nachdem die Symptome abgeklungen sind, kontaktiert werden. Diese erste Konsultation erfolgt telefonisch oder in Form eines Videoanrufs und zielt darauf ab, die wahrgenommenen Einschränkungen der körperlichen Funktionen zu bewerten. Da überwiesene Patienten während der ersten sechs Wochen nach der Entlassung noch nicht einem Belastungs- und/oder Funktionstest unterzogen worden sind*, muss der Therapeut den Zustand des Patienten auf andere Weise beurteilen. Die Stellungnahme sieht die Verwendung aller Bereiche des WHO-Modells der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (WHO-ICF) vor. Es werden die folgenden klinischen Messergebnisse verwendet:  

  • Patientenspezifische Funktionsskala (Patient Specific Functioning Scale, PSFS)
  • Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz vor, während und nach Bewegungsaktivität
  • Borg Skala CR10 bezüglich Kurzatmigkeit und Erschöpfung vor, während und nach Bewegungsaktivität

Es ist auch von wesentlicher Bedeutung zu berücksichtigen, ob ein Patient auf die Intensivstation aufgenommen wurde und ob er Symptome eines Post-Intensivpflege-Syndroms (Post Intensive Care Syndrome, PICS) zeigt, da diese Patienten häufig eine verminderte körperliche Leistungsfähigkeit haben. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Prüfung auf Begleiterkrankungen, die vor oder durch COVID-19 aufgetreten sind, einschließlich eventuell betroffener Organe.  Der Physiotherapeut entscheidet aufgrund der Informationen, die er von anderen Gesundheitsdienstleistern und dem Patienten erhalten hat, sowie unter Berücksichtigung der patientenspezifischen Bedürfnisse und der Notwendigkeit einer Anleitung, ob eine Indikation für Physiotherapie vorliegt.  

* International wird die Organisation der Pflege und der klinischen Nachsorge in anderer Weise organisiert. In einigen Ländern, beispielsweise in den Niederlanden, erhalten die Patienten ca. 6 Wochen nach der Entlassung eine medizinische Nachsorge im Krankenhaus. Während dieses Termins werden die körperlichen Funktionen, die Bewegungsaktivität und die Leistungsfähigkeit ausgewertet, was zu umfangreicheren Informationen für den Physiotherapeuten führt, der auf dieser Grundlage die Leistungsfähigkeit des Patienten beurteilt und seinen Behandlungsplan festlegt.

 

Post-COVID-19-Patienten mit Indikation für Physiotherapie

Diejenigen Patienten, die eine Indikation für Physiotherapie bekommen haben, weisen eine verminderte Funktionsfähigkeit und/oder ein eingeschränktes Bewegungspensum auf. Um ihre Aktivität im Alltag und ihre physischen Funktionen allmählich zu steigern, wird der Physiotherapeut ihnen eine Anleitung und Anweisungen für bestimmte Übungen geben und die gemachten Fortschritte überwachen. Zur Minimierung gefährlicher Entsättigungen und Überlastungen:  

  • Vor, während und nach den Übungen bzw. der Bewegungsaktivität sollte die Sauerstoffsättigung des Patienten gemessen werden (der untere Grenzwert in Ruhe sollte 90 % und während der Übung 85 % betragen)
  • Die Patienten sollten Zuhause nur Bewegungsübungen mit den vorgegebenen Übungsparametern bezüglich Frequenz, Intensität, Zeit/Dauer und Art durchführen  

Patienten, die eventuell durch Aufenthalt in der Intensivstation geschwächt sind (ICU-AW) und unter einem PICS leiden, wird empfohlen, sie (über ihren Hausarzt) an ein Reha-Zentrum zu überweisen, da die Gefahr einer Überlastung hoch ist.   

 

Sechs Wochen nach Entlassung aus dem Krankenhaus / oder nach COVID-19-Symptomfreiheit ohne Krankenhausaufenthalt

Nachsorge zu körperlicher Funktionsfähigkeit bei Post-COVID-19-Patienten

Bei einigen Krankenhäusern suchen die Patienten sechs Wochen nach der Entlassung einen Facharzt auf (z. B. Pulmologe, Internist, Kardiologe usw.). Sie werden einer zusätzlichen Untersuchung der Lungen- und Herzfunktion und einem Belastungstest unterzogen. Die Testergebnisse zeigen die aktuelle körperliche Funktionsfähigkeit auf.   Anhand dieser Informationen kann der Physiotherapeut die Übungen genauer festlegen und die Patienten auf Grundlage ihrer Bedürfnisse und Ziele besser anleiten. Die Behandlungsziele können auf eine weitere Verbesserung der alltäglichen Aktivitäten, höhere Bewegungspensen und/oder eine höhere Belastbarkeit (z. B. Muskelkraft und Belastungstoleranz) ausgerichtet sein. Für die Bewertung der aktuellen und die Festlegung neuer oder angepasster Behandlungsziele werden die folgenden Messungen klinischer Ergebnisse empfohlen:

  • Patientenspezifische Funktionsskala (Patient Specific Functioning Scale, PSFS)
  • Short Physical Performance Battery (SPPB)
  • Greifkraft (mit einem Hand-Kraftmesser, falls verfügbar).  
  • Messung der Sauerstoffsättigung (SpO2) und Herzfrequenz (HR) vor, während und nach der Übung. 
  • Borg-Skala CR10 bezüglich Kurzatmigkeit und Erschöpfung vor, während und nach der Übung.  
  • Schrittzähler / Beschleunigungsmesser, um den Grad der Bewegungsaktivität zu messen.  
  • Sechs-Minuten-Geh-Test (6MWT) zur Bewertung der körperlichen Leistungsfähigkeit.

 

Physiotherapeutische Ziele für Post-COVID-19-Patienten

Ziel der physiotherapeutischen Behandlung ist es, den Patienten in die Lage zu versetzen, seine Bewegungsaktivität weiter zu steigern und seine körperliche Belastbarkeit zu verbessern. Es scheint angemessen, davon auszugehen, dass Übungsgrundsätze, wie sie bei Patienten mit Lungenerkrankungen angewandt werden, auch bei Post-COVID-19-Patienten angewandt werden können. Wenn die Test-Ergebnisse keine Hinweise auf schwere Einschränkungen oder Risiken liefern, können Übungshäufigkeit, Intensität, Zeit/Dauer und Art der Übungen allmählich gesteigert werden.  

Um das Risiko gefährlicher Entsättigungen und Überlastungen zu verringern, sollte die Sauerstoffsättigung vor, während und nach der Übung gemessen werden. Wenn Patienten während der Bewegungsaktivität und der Übungen in den ersten zwei Wochen erhöhter Übungsintensität keine Anzeichen von Entsättigung aufweisen, so ist eine intensive SpO2-Überwachung nicht mehr angezeigt. Das Trainingsprogramm sollte sich auf die formulierten Behandlungsziele konzentrieren, die sich nach den aktuellen körperlichen Funktionen und dem Grad der Bewegungsaktivität des Patienten richten sollten.  

Wenn festgestellte Einschränkungen nicht im Rahmen der Physiotherapie beseitigt werden können, muss der Patient eventuell an andere Disziplinen der Gesundheitsversorgung überwiesen werden. Hierbei hat der Physiotherapeut eine signalgebende Rolle und muss immer engen Kontakt zum Hausarzt des Patienten halten.  

 

Fazit

Zwar sind noch viele Fragen offen, doch werden Zeit und Erfahrungen uns helfen, die besonderen Bedürfnisse der Post-COVID-19-Patienten im Rahmen der Physiotherapie festzustellen. Die Stellungnahme der Königlich Niederländischen Gesellschaft für Physiotherapie ist eindeutig ein guter Ausgangspunkt dafür. Es ist wichtig, die Erfahrungen innerhalb Ihrer lokalen und internationalen Physiotherapie-Communities untereinander auszutauschen, um neue Einblicke zu gewinnen und für die Post-COVID-19-Patienten individuell angepasste Behandlungen zu finden.  

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1 Persistent Symptoms in Patients After Acute COVID-19 – Angelo Carfi, MD; Roberto Bernabei, MD; Francesco Landi, MD, PhD; for the Gemelli Against COVID-19 Post Acute Care Study Group - JAMA. 2020;324(6):603-605. doi:10.1001/jama.2020.12603 2 KNGF position statement: Physiotherapy recommendations in patients with COVID-19. Royal Dutch Society for Physiotherapy (KNGF) 3 WPTD2020_InformationSources.pdf (https://world.physio/sites/default/files/2020-07/WPTD2020_InformationSources.pdf)