Was ist das NDT-Bobath-Konzept?

Eine Welt voller Unterschiede für die neurologische Rehabilitation

Bis Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Hirnverletzungen hauptsächlich orthopädisch behandelt. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg revolutionierte das Ehepaar Dr. Karl Bobath (Kinderarzt) und Berta Bobath (Physiotherapeutin) die Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit Hirnverletzungen. Ihre Faszination für Bewegung und sein medizinisches Wissen führten zusammen zur NDT-Bobath-Concept. Bis heute wird diese Methode weltweit am häufigsten bei der Behandlung von Patienten mit Hirnverletzungen verwendet, sagt die Physiotherapeutin Tara Hanssen.

„Die Bobath-Methode hat die neurologische Rehabilitation grundlegend verändert", bestätigt Tara Hanssen. „Die Methode beginnt mit Beobachtungen. Wie bewegt sich der Patient, wie organisiert er sich selbst? Davon ausgehend suchen wir nach einem umfassenden, individuellen Ansatz für jeden Patienten.“

Tara Hanssen

Warum ein individueller Ansatz?

Das klingt sehr logisch, aber laut Tara war der NTB-Bobath-Ansatz in der traditionellen Physiotherapie lange keine Selbstverständlichkeit. „Es erfordert einen sehr individuellen Ansatz, der über die betroffenen Gliedmaßen hinausgeht. Als Therapeut muss man ständig alles hinterfragen: die Behandlung, das eigene Handeln, das gesamte Umfeld des Patienten.  Im Prinzip gibt es kein motorisches Standardbild für Hemiplegiker, wie in den Handbüchern lange behauptet wurde. Das bedeutet auch, dass eine Standardbehandlung eigentlich nicht möglich ist. Aber das macht es für einen Therapeuten natürlich sehr interessant!

Die Bobath-Therapie ... gibt es nicht?

Trotz der zunehmenden Popularität der von den Bobaths entwickelten Methode betont Tara, dass es die absolute Bobath-Therapie nicht gibt. „Es gibt keine Standardbehandlung. Es gibt keine Handlungen oder Materialien, von denen man sagen kann: Wenn man diese anwendet, dann ist man ein echter Bobath-Therapeut. So funktioniert das nicht. Das Bobath-Konzept bietet einen Rahmen für die Analyse und Wiederherstellung der funktionellen Bewegung. Man muss lernen, anders zu schauen als in der Grundausbildung, die man als Physiotherapeut erhalten hat. Man lernt, tiefer zu schauen.“

“Die Methode geht von Beobachtungen aus. Wie bewegt sich der Patient, wie funktioniert er? Wir suchen nach einem ganz individuellen Ansatz für jeden Patienten.”

Neurologische Rehabilitation erfordert Spezialisierung

Tara kam während ihrer Praktika als Kindertherapeutin schnell mit der Bobath-Methode in Berührung. „Während meiner Ausbildung zur Kindertherapeutin habe ich hauptsächlich etwas über die verschiedenen Krankheiten gelernt, aber erst während meiner Praktika habe ich gelernt, wie man mit ihnen arbeitet. Dort fiel mir auf, wie die Leute vor Ort mir immer wieder sagten: ‚Was ich jetzt anwende, ist eine Technik, die auf dem Bobath-Konzept basiert.‘ Oder: ‚Das habe ich während meiner Bobath-Ausbildung gelernt.‘ Ich merkte, dass mir etwas fehlte. Ich wusste, was Gehirnlähmung bedeutet und was Hypertonie ist. Aber welchen Einfluss hat ein gelähmter Arm auf den gesamten Oberkörper, auf das gesamte Bewegungsmuster?

Als ich an meinem jetzigen Arbeitsplatz, dem Rehabilitationszentrum für Erwachsene von Sint-Ursula, kam ich in Kontakt mit der Bobath-Concept für Erwachsene. Ich sah Kollegen, die Fortbildungskurse besuchten, und verstand, dass die Methode viel tiefer ging als meine Grundkenntnisse der Neurologie an der Universität. Es war das fehlende Glied zur Optimierung meiner Behandlungen. Also habe ich auch mit der Ausbildung begonnen.“

Warum gibt es zwei Ausbildungszweige für das Bobath-Konzept?

Tara erklärt, dass die Bobath-Methode für Kinder und die Methode für Erwachsene sehr unterschiedlich sind und daher auch unterschiedliche Schulungen erfordern. „Die pädiatrische Ausbildung ist eine solide, halbtägige postgraduale Ausbildung von einem akademischen Jahr. Sie legt großen Wert auf den neurologischen Zusammenhang der motorischen Entwicklung von Säuglingen und Kindern. Einfacher ausgedrückt: Warum muss ein Baby erst auf dem Rücken und dem Bauch liegen, bevor es sich weiter bewegen kann? Und das wird dann in die Pathologie übersetzt: Wenn es eine Verletzung an einer bestimmten Stelle im Gehirn gibt, wie wirkt sich das auf die sich entwickelnden motorischen Fähigkeiten aus und vor allem, wie gehen wir als Therapeuten damit um?“

„In der Ausbildung zum Bobath-Therapeuten für Erwachsene lernt man vor allem, den Patienten anders zu betrachten. Man lernt, eine funktionelle Bewegung auszuloten, bis man zu einer Hypothese gelangt, warum sich ein Patient so bewegt, wie er es tut. Dies wird dann mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Neurologie/Neurophysiologie verknüpft. Es handelt sich um einen dreiwöchigen Vollzeit-Intensivkurs, bei dem der Schwerpunkt auf klinischem Denken, Beobachtung und der Verfeinerung der eigenen Behandlungsfähigkeiten liegt.“

Tara erklärt, dass es noch einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen den beiden Kursen gibt: „Wenn man den Kurs Bobath-Therapie für Kinder erfolgreich abgeschlossen hat, darf man sich ab sofort Bobath-Therapeut für Kinder nennen. Dies ist bei Erwachsenen nicht der Fall. Nach dem dreiwöchigen Grundkurs muss man zunächst zwei weitere Fortgeschrittenenkurse innerhalb einer bestimmten Zeitspanne absolvieren. Bei beiden Kursen muss man innerhalb von fünf Jahren einen Auffrischungskurs belegen, um den Titel zu behalten.“

Keine Kristallkugel

Laut Tara hängt das, was Patienten von einer Bobath-Behandlung erwarten können, sehr stark von der jeweiligen Situation ab. „Erwachsene Patienten haben unterschiedliche Erwartungen. Manche möchten mühelos vom Sofa in die Küche gehen können, andere möchten mit dem Fahrrad fahren oder ihre Kinder zur Jugendvereinigung bringen können. Natürlich hoffen wir, diesen Zielen so nahe wie möglich zu kommen. Aber wenn man mit neurologischen Verletzungen arbeitet, kann man nie in die Zukunft blicken. Die Motivation der Person ist zum Beispiel wichtig. Unsere Emotionen steuern unsere Bewegungen und folglich auch unsere Genesung. Das klingt vielleicht etwas schwammig, aber es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Teil unseres Gehirns, der für unsere Emotionen zuständig ist, eine wichtige Rolle bei der Auslösung von Bewegungen spielt. Natürlich ist bloßer Enthusiasmus nicht genug und jede neurologische Verletzung ist anders. Oft ist viel harte Arbeit erforderlich und selbst dann ist der Erfolg nicht garantiert. Wir sprechen in der Regel von langen Rehabilitationsprozessen mit vielen Höhen und Tiefen.  Aber egal, wie hoffnungslos eine Situation auch erscheinen mag, wir lassen uns gerne von unseren Patienten überraschen. Wir hatten schon Patienten im Rehabilitationszentrum, die der Schwerkraft nichts entgegenzusetzen hatten, denen wir aber beigebracht haben, wieder zu gehen, mit oder ohne Hilfsmittel. Solche Fälle tun unserem Therapeutenherz natürlich gut!“ (lächelt)

Körperliche und geistige Anforderungen an den neurologischen Physiotherapeuten

Auch für Tara kann die Behandlung von Patienten mit einer nicht angeborenen Gehirnverletzung recht anspruchsvoll sein. „Ich lerne meine Patienten und ihre Familien an einem sehr emotionalen Scheideweg in ihrem Leben kennen. Man sieht sie drei bis fünf Mal pro Woche, manchmal sogar öfter. Man spricht mit ihnen, aber auch mit den Menschen in ihrer Umgebung, und dann wird oft über andere Dinge in ihrem Leben gesprochen. Diese Momente sind sehr intensiv, fast intim. Schließlich hat man dasselbe Ziel, und dieses Ziel ist für den Rest ihres Lebens von immenser Bedeutung. Es sind also eine Menge Emotionen im Spiel.“ Aber die Behandlung dieser Menschen kann auch körperlich sehr anstrengend sein, erklärt Tara. „Natürlich muss der Patient immer am härtesten arbeiten, aber bei der Bobath-Methode muss man auch als Therapeut die Ärmel hochkrempeln. Man kann nicht einfach sagen, ich lasse meinen Patienten jetzt mal los, denn dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er stürzt. Besonders zu Beginn der Rehabilitation muss man körperlich anspruchsvolle Techniken anwenden, um die Sicherheit des Patienten zu gewährleisten. Wenn dieser Patient eine alte Frau ist, die 45 Kilogramm wiegt, ist das nicht so schlimm. Wenn es ein Erwachsener ist, der 120 Kilogramm wiegt, ist das eine ganz andere Geschichte.“ (lacht)

Bobath-Behandlungsliege

Glücklicherweise kann ein neurologischer Therapeut auf verschiedene Hilfsmittel zurückgreifen, wie Hocker, passive Hebevorrichtungen usw. Laut Tara ist das wichtigste Hilfsmittel bei der Therapie zweifelsohne die Bobath-Behandlungsliege. „Eine Bobath-Liege ist fast so groß wie ein Doppelbett, was sie zu einer geräumigen Arbeitsfläche macht. Als Therapeut kann man für die richtigen Techniken in einer rückenfreundlichen Position überall um den Patienten herum sitzen. Aber es ist auch viel sicherer für den Patienten. Wenn manche Patienten auf dem Rücken liegen und ein Arm von der Liege fällt, kann das ausreichen, um sie zum Rollen zu bringen. Auf einer normalen Behandlungsliege liegt der Patient dann auf dem Boden. Nicht so bei einer Bobath-Liege, die geräumig genug ist, um Sicherheit zu bieten. Sie ist auch für Babys sehr praktisch. Man muss die Übungen mit dem Baby nicht auf einer Matte auf dem Boden machen, während man selbst die ganze Zeit auf den Knien hockt und sich vorbeugt. Nein, man kann das Baby auf die Bobath-Behandlungsliege legen, während man selbst auf einem Hocker vor dem Baby sitzt. Mit der Bobath-Behandlungsliege hat man dann einen schönen, stabilen Arbeitsbereich mit mehr als genug Platz zum Arbeiten.“

GYMNA.GO BOBATH ENTDECKEN

Tara behandelt ihre Patienten nicht nur in liegender Position auf der Bobath-Behandlungsliege, sondern lässt sie auch auf der Kante sitzen oder positioniert sie im Stehen daneben. „Weil die Liege so stabil ist und sich in der Höhe verstellen lässt, ist sie perfekt dafür geeignet, dass die Patienten daneben stehen können. Die ersten Schritte meiner Patienten werden in der Regel an einer Bobath-Behandlungsliege entlang gemacht. Dabei wird eine Menge Kraft auf eine Seite der Liege ausgeübt, aber eine solche Liege kann das aushalten.“

bobath tafel with child

Die Roy-Orbison-Methode

Trotz der geistigen und körperlichen Belastung durch ihre Arbeit möchte Tara sie um nichts in der Welt tauschen. „Meine Arbeit verschafft mir enorme Befriedigung. Es ist jedes Mal eine ganz besondere Erfahrung, wenn man einen Patienten von einer passiven wieder in eine aktive und mitwirkende Person verwandeln kann. Es gibt Menschen, die man für den Rest seines Lebens mit sich trägt. Ich denke spontan an einen Mann, der vielleicht sechzig Jahre älter war als ich, mit dem ich mich aber sehr gut verstanden habe. Dieser Mann war ein großer Fan von Roy Orbison. Bei jeder Therapiesitzung habe ich etwas von Roy Orbison aufgelegt. Das munterte ihn auf und er konnte sofort besser gerade stehen! (lacht) Aber ich denke auch an Menschen, die so alt sind wie ich, oder die mich an meine Eltern, Familie oder Freunde erinnern. Der einzige Unterschied besteht darin, dass diese Menschen das falsche Lotterielos gezogen haben und von einem Moment auf den anderen dringend auf Hilfe angewiesen sind. Wenn ich ihnen dann dank der Bobath-Methode helfen kann, ein Stück ihres Lebens zurückzugewinnen ... Das sind Menschen und Momente, die man für immer in seinem Herzen trägt.

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